Harald Bretschneider

Informationen zur Person:

  • * 30.07.1942 in Dresden
  • 1960-1965 in Leipzig Theologie studiert
  • 1965-1968 Arbeit als Hilfsarbeiter, lernte später Zimmermann und war Bausoldat
  • 1969-1979 Dorfpfarrer in Wittgendorf bei Zittau
  • 1979-1991 Landesjugendpfarrer in Dresden, Mitglied der Kommission kirchlicher Jugendarbeit des Bundes der evangelischen Kirche in der DDR
  • 1991-1997 Direktor der Stadtmission Dresden
  • 1997-2007 Oberlandeskirchenrat
  • entwickelte die Aufnäher und Lesezeichen „Schwerter zu Pflugscharen“
  • Berater der Gruppe der 20
  • seit 2007 im Vorruhestand
  • engagiert sich noch immer für verschiedene Organisationen, widmet sich aber mehr seinem Hobby, der Bildhauerei
  • er ist verheiratet und hat einen Sohn

Harald Bretschneider im Interview

Herr Bretschneider, haben Sie eine Erklärung, warum im Herbst ’89 alles so friedlich verlaufen ist?

Es war ein Geschenk des Himmels, dass die Panzer und Polizisten nicht zum Einsatz gekommen waren und die Demonstranten um den Ring in Leipzig herum laufen konnten. Da haben viele geschichtliche Ereignisse zusammen gespielt. Dazu zählen das neue Denken Gorbatschows bei den Russen, die Entwicklungen in Polen, die KSZE und die wirtschaftliche Katastrophe in der DDR. Die Öffnung der Grenzen in Ungarn und die Ausreisegenehmigung aus der Tschechischen Botschaft. Das energische Geschick der Bundesregierung und letztlich der Sieg über die Vernunft der politischen Hartleiber in der DDR. Das alles war nicht Plan- und Organisierbar, sondern Ausdruck von Gottesgüte, und wäre nicht möglich gewesen wenn nicht viele couragierte Junge Christen den Weg bereitet hätten.

Wie erlebten Sie die Zeit unmittelbar vor der Wende?

Als am 3.-8.10.89 die gewaltigen Auseinandersetzungen und Verhaftungen in Dresden waren, da bot ich als Landesjugendpfarrer eine Anlaufadresse für Eltern und Freunde. Sie haben sich an mich gewandt, wenn Kinder verschwunden oder in Bautzen im Gefängnis saßen. Ich habe die ganze Geschichte mit verantwortet. In dieser Zeit fuhr ich häufig zwischen Leipzig und Dresden hin und her. Und konnte schließlich in der Kreuzkirche berichten, daß am 9.10.89 die Demonstrationen in Leipzig trotz aller Militärischen Polizeipräsenz friedlich abgelaufen war.

Die Kirche war nicht nur ein Sammelbecken für Oppositionelle, sie lieferte auch wichtige Symbole. Viele Jugendliche trugen damals den Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“. Wie kam es dazu?

Als Landesjugendpfarrer habe ich bemerkt, das Jugendliche sich häufig zeichen benutzt artikulieren können, wenn sie so aus dem Bauch heraus reden sollen. Da hilft es, wenn sie etwas haben woran sie sich festhalten können, etwas, dass sie erklären können und das ihre Position zum Ausdruck bringen. Deswegen habe ich für die Friedensdekade der Kirchen zunächst die Lesezeichen und Aufnäher mit dem Wort „Schwerter zu Pflugscharen“ entworfen. Die Lesezeichen entstanden 1980 und die Aufnäher 1981. Sie waren sehr stolz darauf. Ich habe sie auf Vlies drucken lassen – so ähnlich, wie beim herstellen von Weihnachtsdeckchen. Dafür brauchten wir nämlich keine Druckgenehmigung. Ich wollte mit den Aufnähern ein Zeichen setzen. Das Symbol hatte ich klug gewählt. Es ist ein biblisches Zitat, dass der russische Bildhauer Jewgeni Wutschetitsch in eine Plastik umgesetzt hatte. Eine Kopie dieser Plastik war eine Geschenk der UdSSR an die Uno. Damit stand sie in New York und in Moskau also in Ost und West. Das konnte die DDR-Führung schlecht verbieten. So entstanden tausende Exemplare. Trotzdem versuchte die Polizei immer wieder, die Aufnäher und Lesezeichen entfernen zu lassen.

Gab es andere Aktionen?

Am 13. Februar 1982 wurde die Idee geboren, ein Flugblatt zu entwickeln, um mit einer kleinen Aktion an der Frauenkirche an die Zerstörung Dresdens zu erinnern. Die Jugendlichen entwarfen und vervielfältigten die Blätter, mit der Bitte, Kerzen und Blumen mitzubringen. Ich sprach mit der Kirchenleitung, dem Bischof und dem Präsidenten, die Jugendlichen hatten Sorge, da die Staatssicherheit ihnen auf der Spur war, deshalb wannten sie sich mit der Bitte um Hilfe an mich. Nach großem Einsatz haben wir ein „Forum Frieden“ zusammen mit den Jugendlichen gehalten. Nach diesen Veranstaltungen zogen wir an die Frauenkirche, damit jeder dort eine Kerze aufstellen konnte. Desweiteren entwarfen wir eine Sprechmutette um auf die zunehmende Militärisierung auch in der DDR aufmerksam und setzten uns für das Recht zum Friedensengagement ein. Das verlief zum Glück ganz unkompliziert. Danach hielt der Bischof eine tolle Predigt und wir beantworteten die Fragen der Jugendlichen zum Frieden und zur Wehrdienstverweigerung.

Ein wichtiges Kirchenprojekt, das im Herbst ´89 Erfolg hatte, war die Einführung Zivildienstes. Wie kam es dazu?

Schon seit 1987 setzte ich mich als Landesjugendpfarrer dafür ein, dass die Wehrdienstverweigerer nicht zu den Bausoldaten oder ins Gefängnis mussten, sondern sie ein Friedensdienst leisten könnten. Ich verhandelte mit dem Friedrichstädter Krankenhaus, denn es mangelte immer mehr an Pflegern und Pflegerinnen, da viele Schwester und Ärzte plötzlich in den Westen gingen. Es kostete sehr viel Kraft, da zunächst überhaupt kein Weg hineinzuführen schien. Doch schließlich gelang es im September ’89 mit fünfzig jungen Männern ein Pilotprojekt „Zivildienst“ zu beginnen. Die Jugendlichen waren bereit, die Idee mitzutragen. Sie wollten helfen, vernünftig und verantwortlich zu leben.

Haben Sie sich damals erwogen die DDR zu verlassen?

Nach 1965 habe ich nicht ernsthaft erwogen auszureisen. Ich glaube, Gott hat mich für diesen Weg hier bestimmt. Der Staat hat es mir aber nie leicht gemacht. Immer wieder kam ich in Bedrängnis, da wurden Bäume vor meinem Auto umgesägt oder Polizisten vor unserer Wohnung postiert. Trotz allem bin ich geblieben. Meine Frau und mein Sohn haben das in einer wunderbaren Weise mitgetragen.

Hatten Sie Angst?

Ja, die hatte ich und vor allem dachte ich daran, einmal ein toter Mann zu sein. Kein Wunder, wenn einem plötzlich auf der Autobahn bei hoher Geschwindigkeit ein Baum vor den Wartburg fällt. Oder wenn man von Hunden umstellt wird, da weiß man nie wie das endet.

Gab es für Sie ein besonders schönes Erlebnis was Sie mit dem Herbst ’89 verbindet?

Unglaublich war, als wir um den Leipziger Ring marschierten und weder die Polizei noch die Armee zum Einsatz kamen, die Polizisten mit den Schilden und Waffen am Boden blieben. Ein weiteres Erlebnis war als ich eine Einladung der Militärakademie in Dresden bekam und einen Vortag über evangelische Ethik vor den Offizieren und Ausbildern der Warschauer Vertragsstaaten halten sollte. Sogar die Bereitschaftspolizei lud mich ein, einen Vortrag über rechte Gewalt zu halten. Besonders große Freude hatte ich natürlich, als die Mauer fiel. Und die Dankbarkeit der jungen Menschen, denen ich etwa bei der Wehrdienstverweigerung geholfen habe, das ist natürlich eine Erfüllung ohne gleichen.

Wie beurteilen Sie den Herbst ’89 heute?

Die Wende war auf jeden Fall notwendig. Ich habe sie gewollt und lange vorher gesagt, sie herbeizuführen. Nur zwei Dinge bedauere ich. Zum einen, dass die Menschen so schnell vergessen welches Glück wir mit dieser gewaltlosen, friedlichen Revolution hatten. Leider Gottes sind wir Menschen sehr vergeßlich und die Klagen nehmen wieder überhand. Vielen ging es zu DDR-Zeiten schlechter als heute, etwa die, die im Gefängnis saßen und die Widerständler. Zum zweiten bedauere ich, dass viele ihre gegenwärtige Situation allein nach dem Wohlstand beurteilen. Man kann den Eindruck gewinnen, es sei ihnen im Herbst ’89 nur um die Westmark gegangen.

Während der Wende waren die Kirchen voll. Bedauern Sie, dass die Kirchen heute für viele weniger Bedeutung haben?

Es ist erstaunlich wie wenig Kirchenaustritte es in den letzten Jahren überhaupt gibt. Durch den Tod der Menschen werden wir weniger. Es finden aber immer mehr Taufen statt. Leider wirkt die damalige Bildungsministerin, Margot Honecker, mit ihrer Vergötterung des Athäismus bei vielen bis heute. Mit diesem System eine große Fortschrittsgläubigkeit produziert wurde. Unter dem Zeichen des Weckers, der Hochspannung und des Kreuzes: „das jede Macht die sich auf Unrecht gründet den Keim eigener Vernichtung in sich züchtet“. Sie meinte tatsächlich: „Ohne Gott und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein.“ Und so war die religiöse Dimension bei ganz vielen Leuten nicht mehr ansprechbar. Dieser Materialismus wirkte auch nach der Wende noch immer. Selbst die guten Parteigenossen haben gerne das Begrüßungsgeld abgefasst.

Kann uns die Erinnerung an der Herbst ’89 heute noch etwas lehren?

Lasst uns weitermachen, wir müssen weiter arbeiten an einer gesünder werdenden, gerechten Gesellschaft. Die Schere der Reichen und Armen muss verringert werden. Der Reichtum ist gestiegen, aber die Beziehungen sind ärmer und kaputter geworden. Da denke ich, dass Glauben und Hoffnung eine große Kraft sind und sich für die Gerechtigkeit einzusetzen. Die Zivilcourage aus dem Glauben erwächst, wird auch weiter gebraucht.

Das Interview mit Harald Bretschneider führten S. Huste und A. Schneider 2008